INFECTIONS Ordnung. (Pest-Ordnung)
Die Corona-Pandemie führt aktuell vor Augen, wie rasch und nachhaltig stark verzweigte und komplexe Wirtschafts- und Sozialgefüge aus dem Gleichgewicht geraten können.
Dass diese Geschehnisse für die Steiermark kein Novum sind, zeigt ein Blick in eine fast vierhundertjährige „Infections-Ordnung" aus dem Jahr 1625. Damals galt es, die Pest einzudämmen bzw. deren erneuten Ausbruch durch umfassende Restriktionen zu verhindern. In dem Grazer Druck aus der Offizin von Ernst Widmanstetter finden sich viele Punkte, die uns aus unserer heutigen Situation heraus sehr vertraut klingen. Der damalige Landeshauptmann der Steiermark, Johann Ulrich von Eggenberg, verfügt auf 20 Seiten Verhaltensregeln sowohl für den öffentlichen als auch für den privaten Bereich mit weitreichenden Auswirkungen auf das gesamte Herzogtum und dessen Bevölkerung.
Die „Ordnung" besteht aus zwei Teilen und erläutert in insgesamt 26 Punkten, was zu tun ist, was verboten ist und woran man sich zu halten hat.
Der Text ist durch Virgeln (Schrägstriche) gegliedert, die heute nur noch selten, z.B. in Lyrikbänden, verwendet werden.
„Folgt nun der Erste Thayl"
Pfarrern und Seelsorgern wird aufgetragen, Ortschaften, in denen die Pest auftritt, der Obrigkeit zu melden und zugleich die Bevölkerung von der Kanzel aus zu warnen und zu ermahnen, sich von diesen fernzuhalten. Die Kirchen waren damals noch wesentlich besser besucht als heute und dementsprechend effektive „Kommunikationsdrehscheiben".
Die betroffenen Ortschaften sollen besonders gut bewacht werden, also unter Quarantäne gestellt werden, und es soll jede Person streng kontrolliert werden, die Zutritt verlangt oder die den Ort verlassen will.
„... doppelte Schranckhen gemacht / und der Enden ein Wacht / mit Bestellung zweyer Burger / bey jeglichem Orth wol bewehrt / mit Fewerpüchssen / und andern Waffen ..."
Diejenigen, die eingelassen werden, müssen zuvor belegen, dass sie ausreichend lange in Quarantäne waren.
„... sollen sie sich Sechs Wochen lang / zu ihrer Widerkhunfft ohn ainen hierzu deputierten sonderbaren Orth (von welchen sich keiner bey hocher Straff / vor Endung Sechs Wochen / nicht hinwegs begeben solle) endthalten ..."
Personen, die sich unerlaubter Weise Zutritt verschaffen, werden strenge Strafen in Aussicht gestellt, aber auch den Aufsichtsorganen wird mit diesen gedroht!
„... welcher sich also haimblich / oder durch Practicken eyngeschlaipfft hätte / der / oder dieselben / sambt den Thorstehern / da sie hierundter ainichen Unfleiß gebraucht / sollen an Leib / oder Guet nach Gelegenheit ... unablässig gestrafft werden."
Denunziantentum wird explizit gefördert, Zuwiderhandelnde werden ausdrücklich gewarnt!
„Welcher nun ein solche Ubertrettende Person denen Verordneten über die Infection Ordnung / glaubwürdig anzaigen wurde / demselben solle ein gebürliche und zimbliche Ergötzligkeit erfolgen / und er allerdings unvermeldt bleiben / Im fahl aber dieser oder jener ainiche Ubertrettung / darumben ihme bewuest / verschwieg / gegen demselben würdet mit doppelter Straff ernstlich fürgangen werden."
Sämtliche Transporte, Waren aller Art und auch die Post werden genau kontrolliert. „... Brieff und Pagget ..." dürfen weder mit Faden noch Spagat, sondern müssen mit Draht verbunden sein. Herrschaften müssen ihre Bediensteten instruieren, im gesamten Wohnbereich, in den Ställen, auf den Gassen und Straßen auf Sauberkeit zu achten. Unrat, Abwaschwasser, Aas und aller anderer Abfall darf nicht mehr auf den Wegen, sondern muss entweder direkt im Wasser oder außerhalb der Stadt entsorgt werden. Das Halten von Schweinen in der Stadt ist strengstens untersagt, die Gruben und Lacken in denen das Wasser steht, sollen zugeschüttet und gepflastert werden.
Der Stoff- und Obsthandel „... Melaunen / Spenling (Pflaumen) / und ander dergleichen schädliche Obst ..." ist verboten, der Verkauf von „... Getraidt und Victualien (Lebensmitteln) ..." muss vor die Tore der Stadt verlegt werden.
Schließlich werden „... der Artzney Doctoren / Artzten und Parbieren ... Apodeckher ..." eindringlich ermahnt, mit den „Verordneten Provisorn" und dem eigens berufenen „Magistro Sanitatis" engstens zusammenzuarbeiten.
„Folgt der Ander Thayl"
Der zweite Teil trifft das Sozialgefüge im Innersten.
„... daß khein Mätt / Bier / Süeß: noch andere Weinkheller / an den Sontägen / und andern Feyertägen zu Morgens vor 9. Uhr geöffnet / und zu Nachts uber Achte kheineswegs zum außtragen offen gehalten / Wie dann auch das ärgerliche sitzen / in gemeldten Kellern/ Trinckstuben/und sonsten darauß allerley Laster erfolgen/ darinnen Niemandts zu kheiner Zeit gestatt ...".
Diese Maßnahme erscheint allerdings gegenüber der aktuellen umfassenden Schließung der gesamten Gastronomie und Hotellerie geradezu human. Eine zusätzliche Verschärfung bedeutet das Verbot von „harten Getränken".
„... der Brandtwein offentlich oder haimblich / wie es sey in Häusern / oder sonsten allenthalben fayl zu haben/ und zu trinckhen männiglich/ nicht weniger auch die Sudlkhuchen (Garküchen)/ Inner und ausser der Häuser gäntzlichen verbotten sein sollen."
Auch für die städtische Fauna brechen harte Zeiten an.
„... daß die umblauffenden und andere unnütze Thier / als Hund/ Khatzen/ Meerschweindl/ Khünigl (Kaninchen)/und Tauben/ in Häusern/und sonsten bey ernstlicher Straff hinwegs gethan ..."
Sozial schwachen Gruppen wird die Bewegungsfreiheit vollständig entzogen.
„... Khraxentrager/ umbschwaiffende Pettler / sowol auch die Schueler / welche ihr Nahrung hin und wider in denen Stätten suechen / und sonsten alles müssig gehundes / und leichtferttiges Gesindt/ von stundan/ bey den Stätten und Fleckhen abgeschafft ..."
Der Bildungssektor und die Freizeitgestaltung kommen vollkommen unter die Räder.
„... daß nicht allein alle offene Lateinische: und Teutsche: sowol auch die Fechtschuelen/ Spiel/ Hochzeiten/ und dergleichen Ladtschafften: sondern auch die Faylbäder (Badehäuser) / in der Zeit der eyngerißnen Pest allerdings eyn: und abgestöllt werden sollen"
Häuser und Wohnungen, Plätze und Gassen sollen nach Möglichkeit mehrmals täglich mit
„... Cronabeth (Wacholder) Stauden/ und andern hierzu dienstlichen Holtz/ gleichsfahls /sonderlich an feuchten Tagen geraucht werden".
Die mit der Gesamtkoordination beauftragten Organe müssen die Exekutive überwachen, deren Mitarbeiter bei kleineren Vergehen ermahnen und diese gegebenenfalls, bei groben Verfehlungen, auch gegen geeignetere Personen austauschen.
„... und im fahl sie zur Sachen nit genuegsamb tauglich wären/ oder ungebürlich verhielten/ ihre Stöllen / mit andern qualificierten / Gelehrten und erfahrnen Personen zuersetzen ..."
Familienoberhäupter (Haußvatter), Vermieter (Hauswirth) und Herrschaften mit Bediensteten (Dienstboten ...) müssen Erkrankte in ihrem Umfeld, im Falle auch sich selbst, dem Bürgermeister oder Richter melden. Infizierte werden separiert, im besten Falle in ein Lazarett gebracht, sonst an einen nicht näher definierten Ort (Gebäude) vor der Stadt. Ist das nicht möglich, so werden die betroffenen Gebäude versperrt und mit einem großen weißen Kreuz auf der Türe gekennzeichnet.
„... daß dieselben inficierten Personen/ von stundan/ und ohne Verzug in das Lasareth: oder ein ander vor der Statt bestimpt Orth geführt ..."
„... daß sie in ihren Wohnungen verbleiben mögen/ doch das Hauß außwendig verspört/ und mit einem grossen weissen Creutz auff denn Haußthörn bezaichnet ..."
Die de facto Inhaftierten werden durch eigens bestellte Boten mit allem lebensnotwendigen versorgt.
„... und ihnen alle Notthurfft auffs threwligist zuetragen / und in ainen Khorb (welchen sie zum Fenster herab / als offt lassen sollen) ... damit so wol die Armen / als Reichen in solcher Noth / Christlicher Hülff und Mitthaylung / als billich nit verziegen."
Das eigene Haus zu verlassen, Kontakt mit anderen Betroffenen zu halten oder gar das weiße Kreuz vor Endigung der Frist von 6 Wochen zu entfernen ist strengstens verboten. Nur Fuhrleute, die Krankentransporte durchführen, dürfen in die Stadt oder Vorstadt kommen, müssen sich und ihren Wagen dabei aber besonders kennzeichnen.
„Innmassen er dann auff dem Wagen/ so verdeckht seyn/ ein schwarz Fehndlein / mit einem weissen Creutz auffgestöckht fühern/ und gleichsfahls auff sein Khlaydern ein sonderbares Zaichen haben soll."
Die Lazarette (Quarantänestationen) sind großzügig angelegt und werden vornehmlich nahe am Wasser errichtet. Auf Sauberkeit wird penibel geachtet und es ist ausreichend Platz vorhanden, um die Genesenden von den Kranken trennen zu können.
„... daß die Lasareth mit Stüben / Cammern / und andern Notthürfftigen Gemächern/ also auch die Hüttlien abwerths gegen dem Wasser also zuegericht/ und undtermacht seyn/ damit die Khranckhen Personen nit hauffenweiß obeinander liegen/ und stecken müssen ..."
Für die Versorgung der Patienten mit „... Speiß und Thranck/ Ligerstatt/ Artzneyen (die nur in ainer Apodecken zueberaithen) ..." ist ebenfalls gesorgt.
Zur Aufsicht und Verwaltung dieser Einrichtungen werden eigene Siechmaister bestellt, die über Zahl der Erkrankten, der Verstorbenen etc. ... Buch führen und Bericht geben müssen. Für die sozial Schwächsten wird in der Stadt gesammelt, diese Gaben werden anschließend in den Lazaretten verteilt. Kommen dabei nicht ausreichend Spenden zustande, so wird eine Zwangsabgabe erhoben!
„... so soll alßdann durch Sie Verordnete ein Christlicher mittleydentlicher Anschlag/ auff jedes Hauß kheines außgenommen / gemacht/ und davon die mängl erstattet werden."
Für die Pestopfer wird ein eigener Friedhof angelegt.
„... daselbsten beym Lasareth ein Freydhof gemacht/ und sonsten Niemandt daselbsten begraben werde."
Die Totengräber werden eigens ermahnt, sich pietätvoll zu verhalten.
„... ein auffrecht Christliches Leben/ und Wandel zu fühern/ mit den todten Cörpern nit ubel umbgehen/ sie nit endtblösen ...".
Wenn der „... Allmächtige seinen Göttlichen Zorn/ von Uns abwendt / und die Infection widerumb auffgehört ...", dann soll überall peinlichst genau geputzt, Kleidung und Hausrat gereinigt und Kontaminiertes entsorgt werden.
„... nach aller Notthurfft gerainiget/ gesäubert/ ausgelüfft/ und geraucht/ ... "daß vorher das alte Haderwerckh und Khrümpl/ und fürnemblichen die Federböth/ Modratzen/ an welchen die Inficierten Personen gelegen/ und gestorben / vor der Statt verbrännt ... Böthgewandt / und Khlayder aber ... soll durch fliessende Wasser Acht: oder Zehen Tag gerainiget werden."
Die Infections Ordnung beginnt und endet mit einem Appell an den Klerus.
„... Seelsorger/ und Pfarrherrn sich ihrer Undtergebnen und anvertrawten Pfarrkinder in dergleichen Infections Noth / bißweilen nicht annehmen : sonder dieselben ohne schuldige Versechung / und darreichung der H. Sacramenten verschmachten und verderben lassen ..."
Neben der Erinnerung an dessen ursprüngliche Pflichten und Aufgaben, wird zusätzlich von ihm verlangt, die Frohe Botschaft nicht nur in der Kirche zu verkünden.
„... [sollen] am Platz/ und sonderlich in denen Creutzgässen Altär auffgerichtet/ und wegen der Inficierten/ oder gesundten in Häusern verspörten Personen täglichen das Ampt der heiligen Meß gelesen/ Sie die arme Gemain auch in solcher obwol gefährlichen SterbsZeit / kheinsweegs verlassen: Sondern denselben die heilige Sacramenta mit anhörung der Beicht/ und raichung deß allerheiligisten Altar Sacraments schuldigermassen Versehen werden / und an ihrer Priesterlichen Pflicht dits Orths nichts erwinden lassen."
...
Dann es beschicht hieran Ihrer Khay : May : allergnädigister Will und Mainung/ Grätz/ den Ainundzwaintzigisten Augusti/ Anno/ Aintausent/ Sechshundert/ Fünffundzwaintzig.
Ex mandato Suae Illustris-
simae Celsitudinis.
(Im Auftrag Ihrer Erlauchtesten Hoheit)
Mag. (FH) Markus Kostajnsek
Fachbereichsleiter „Altes Buch" an der Steiermärkischen Landesbibliothek